Ungewissheit und Stabilität
Manche Zeitgenossen versuchen komplexe Systeme zu steuern wie
(einfache oder komplizierte) Maschinen.
Aber der Versuch, alle Wechselwirkungen in einem komplexen System
zu kontrollieren, ist unmöglich. Selbst wenn wir es auf einfache Weise
beeinflussen können, seine Eigenarten: Abhängigkeiten,
Rückkopplungen, Nichtlinearitäten … bleiben erhalten und machen
sich in Fluktuationen und unvorhergesehenen Reaktionen
bemerkbar. Wir können es nicht vollständig kontrollieren (in die
komplizierte oder einfache Domäne bewegen). Jeder derartige
Versuch, es überzubestimmen oder zu „reduzieren“ wird es zerstören
(in die chaotische Domäne bewegen). Wir können also nur wenige
entscheidende Punkte kontrollieren und dürfen nicht mehr tun als
nötig.
Wir müssen der Komplexität, der Selbstorganisation, den
Entwicklungs-, Lern- und Anpassungsprozessen Raum geben, dafür
Puffer und Spielräume vorsehen. Dafür brauchen wir geeignete
ökonomische Methoden, um die nötige Größe dieser Spielräume zu
ermitteln, und Mechanismen, um das System in diesem
Operationsbereich zu halten. Solange uns das gelingt, ist das System
stabil, sein Verhalten innerhalb gewisser Grenzen vorhersagbar und
kann „gemanagt“ werden.
Komplexe Systeme
Komplexe Systeme sind Systeme, welche sich der
Vereinfachung
verwehren und vielschichtig bleiben. Insbesondere gehören hierzu die
komplexen adaptiven Systeme (z.B. Unternehmen), die imstande sind,
sich an ihre Umgebung anzupassen.
Komplexe adaptive Systeme sind
ein Spezialfall von komplexen Systemen. Sie sind komplex weil sie aus
mehreren zusammenhängenden Elementen bestehen und sie sind
adaptiv, weil sie ein besonderes Anpassungsvermögen an ihre
Umwelt zeigen und die Möglichkeit haben, (aus Erfahrung) zu lernen.
Der Terminus komplexe adaptive Systeme (oder auch
Komplexitätstheorie) bezeichnet ein weitläufiges Feld. Die
Komplexitätstheorie ist keine einzelne Theorie, sie umfasst mehr als
einen theoretischen Rahmen und ist hochgradig interdisziplinär,
indem sie Antworten sucht auf fundamentale Fragen von
lebenden, anpassungsfähigen und veränderlichen Systemen.
Beispiele für solche komplexe adaptive Systeme sind der
Aktienmarkt, soziale Insekten- und Ameisenkolonien, die Biosphäre
und das Ökosystem, das Gehirn und das Immunsystem, die Zelle und
die Embryonalentwicklung, Unternehmen für Produktion und
Dienstleistungen, Gruppen in sozialen Systemen wie etwa politische
Parteien und Communities. Es gibt eine enge Beziehung zwischen
komplexen adaptiven Systemen und künstlichem Leben. In beiden
Gebieten sind die Prinzipien Emergenz und Selbstorganisation
sehr wichtig.
Ein komplexes adaptives System ist ein komplexes, selbst-ähnliches
Kollektiv von interagierenden adaptiven Akteuren.
Komplexe adaptive Systeme haben Eigenschaften wie
•
Selbstähnlichkeit,
•
Komplexität,
•
Emergenz und
•
Selbstorganisation.
Andere wichtige Eigenschaften sind
•
Anpassung (auch Homöostase genannt),
•
Kommunikation,
•
Spezialisierung,
•
räumliche und zeitliche Organisation und
•
natürlich Reproduktion.
Sie zeigen sich auf allen Ebenen: Zellen spezialisieren sich, passen
sich an und reproduzieren sich genauso wie größere Organismen.
Kommunikation und Kooperation findet auf allen Ebenen statt.
Komplexe Systeme und Einfachheit -
Das Cynefin-Modell
Kann man Komplexität definieren? Daran haben sich so manche
versucht. Und herausgekommen sind dabei nur Umschreibungen.
Aber „die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“.
Es gibt zwei Gebrauchsweisen für „Komplexität“, die wir besser
trennen:
1. Wir bezeichnen etwas als komplex, wenn wir es nicht verstehen
oder nicht erklären können.
2. Wir bezeichnen Systeme mit gewissen Charakteristiken als
komplex.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen beiden Gebrauchsweisen.
Systeme bestehen
•
aus vielen Komponenten
•
mit vielen, teils nichtlinearen Abhängigkeiten und
•
Rückkopplungen
zeigen ein schwer verständliches, „komplex“ erscheinendes Verhalten,
das wir nicht vorhersagen oder beeinflussen können. Sobald wir das
können, verliert das System seine Schrecken und es ist nicht mehr
nötig, die Komplexität des Systems hervorzuheben.
Der Umgang mit Komplexität: Ein pragmatisches Verständnis von
Komplexität baut daher auf der ersten Gebrauchsweise auf: ein
komplexes System (eine Situation) erscheinen uns als schwer
verständlich, ungewiss, kaum vorhersagbar. Wir wollen aber einen
Weg finden, wie wir damit umgehen können! Wir müssen es gar nicht
in allen Einzelheiten verstehen sondern wollen nur einen praktischen
Weg finden, damit klar zu kommen oder es zu beeinflussen.
Als Menschen gehen wir häufig mit komplexen Situationen,
Lebewesen, Organisationen … um; das ist Teil unseres Lebens.
Der Umgang mit Komplexität folgt einem bestimmten Muster:
1. Aspekte eines Systems oder einer Situation sind unserem
Verständnis verschlossen und komplex. Wollen wir damit
zurechtkommen, müssen wir damit experimentieren, Ansatzpunkte
und Muster finden usw..
2. Wir finden z.B. durch Experimente Parameter heraus, wie wir das
System beeinflussen können, z.B. ein Optimum, einen
Operationsbereich, ein Modell, die Abhängigkeiten. Wir können
vielleicht Regeln herausfinden. Das ist kompliziert, benötigt häufig
Experten usw.
3. Einige Dinge wissen und lernen wir so über das System. Wenn wir
einen Hebelpunkt oder Engpass finden, über den wir das System, sein
Verhalten, seine Funktionsweise beeinflussen können, wird es
einfach.
4. Durch mehr Einsicht in ein System finden wir immer einfachere und
damit wirksamere Möglichkeiten, es zu erklären oder zu beeinflussen.
Wir dürfen unsere Erklärungen und Aktionen aber nicht zu stark
vereinfachen oder übertreiben. Sonst strapazieren wir ein System und
provozieren chaotische Verhältnisse. Wir stoßen mit unseren
vereinfachten Erklärungen und Ansätzen immer wieder an gewisse
Grenzen.
Dieser Prozess kann als Dynamik im Cynefin-Modell dargestellt
werden:
Unser Erkenntnisprozess durchläuft die Cynefin-Domänen (Bereiche)
im Uhrzeigersinn.
Die innere Einfachheit von Komplexität: Im pragmatischen
Verständnis sind Komplexität und Einfachheit kein Widerspruch, im
Gegenteil: je komplexer ein System, ein Problem ist, desto einfacher
muss die Lösung sein, wenn wir es auf wirksame Weise beeinflussen
wollen. Das Postulat der Naturwissenschaften und der Theory of
Constraints ist, dass komplexe Systeme innere Einfachheit haben.
Ihnen liegen letztlich wenige einfache Gesetzmäßigkeiten zugrunde.
Sie können daher auf einfache Weise beeinflusst werden. Nur sind
diese Gesetzmäßigkeiten und Ansatzpunkte nicht offensichtlich.
„Einfach“ bedeutet nicht „leicht“ und erfordert harte Arbeit. Das
Gewirr der Abhängigkeiten ist schwer aufzulösen.